In Neurologie und Psychiatrie gibt es eine lange Tradition des Einsatzes von Heilpflanzen zu therapeutischen Zwecken. Dabei waren je nach Standpunkt unterschiedliche Einsatzgebiete als „therapeutisch“ anerkannt.
So konnte auch das Hervorrufen von Rauschzuständen durchaus Bestandteil eines „therapeutischen Gesamtkonzeptes“ sein.
Ich beschäftige mich aber nicht mit diesem Aspekt, sonder mit den heute anerkannten möglichen Einsatzgebieten von Heilpflanzen im Rahmen einer rationalen Phytotherapie.
Per definitionem beschäftigt sich die Phytotherapie mit Arzneimitteln pflanzlicher Herkunft, geht dabei aber nach naturwissenschaftlichen Methoden vor.
Praktisch bedeutet das, dass ganze Pflanzen, Pflanzenbestandteile, Extrakte und andere Pflanzenzubereitungen von möglichst genau identifizierten Stammpflanzen verwendet werden. Dabei ist es auch Ziel, die Wirkung, die Wirkmechanismen und wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe zu kennen. Idealer Weise sollen Effekte, Dosis-Wirkungsbeziehung, unerwünschte Wirkungen und andere pharmakologische Daten, wie bei synthetischen Arzneimitteln bekannt sein.
Insbesondere bei traditionell schon lange eingesetzten Phytopharmaka ohne bekannte starke Nebenwirkungen müssen Lücken in diesem Wissen akzeptiert werden. Beispielsweise sind diese Fakten im Allgemeinen bei Teemischungen nicht, oder nur lückenhaft belegt. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Teemischungen nicht wirken würden, oder dass nicht mit einem positivem Nutzen-/Risikoverhältnis gerechnet werden darf.
Bei einigen stark wirksamen Phytotherapeutika ist das vorhandene Wissen jedoch umfangreich. Trotzdem ist es das Wesen der Naturwissenschaft, dass sich aus jeder Antwort meist wieder eine Frage ergibt.
Schmerzen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Müdigkeit, Ängste, depressive Verstimmung, Stressbewältigung, Umgang mit schweren Belastungen (Posttraumatische Belastungsstörung), nachlassende geistige Leistungsfähigkeit (Demenz) und die Beeinflussung des vegetativen Nervensystems sind traditionelle Anwendungsgebiete von Heilpflanzen. Die Behandlung von Hirntumoren, und des perifokalen Ödems bei Hirntumoren sind weitere mögliche, eventuell zukünftige Anwendungsgebiete.
Schon eher in den Bereich der Ernährungsmedizin und der „Waldtherapie“ fällt die Prävention von cardiovaskulären Erkrankungen. Obwohl dabei Pflanzen eine wichtige Rolle spielen und natürlich auch neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen beeinflusst werden können (Demenz, Schlaganfall), ist das nicht Thema der Phytotherapie im engeren Sinn.
Dass ich hier Anwendungsgebiet nenne, bedeutet nicht automatisch, dass es sich um ein etabliertes Therapieverfahren handelt und ich ohne weiteres die Behandlung empfehle.
Vielmehr reicht das Spektrum der Anwendung von Heilpflanzen von einer Standardtherapie, Anwendung aufgrund jahrelanger guter Erfahrung, über Nutzung von Heilpflanzen im Rahmen von Allgemeinmaßnahmen, bis zur individuellen Heilbehandlungen, oder gar nur experimentellen Hinweisen auf eine Wirksamkeit.
Ein weiterer zu beachtender Aspekt ist die zu erwartende Wirkstärke. Nur in seltenen Fällen werden Beschwerden mit der Einnahme eines pflanzlichen Arzneimittels wie weggeblasen sein. Wie auch bei chemisch-synthetischen Medikamenten ist gerade bei chronischen Leiden oft eine Besserung, aber keine vollständige Heilung zu erreichen.
Insgesamt scheint mir am bedeutensten zu sein, pflanzliche Arzneimittel im Rahmen eines Gesamtbehandlungskonzeptes einzusetzten. Bestandteile eines solchen Behandlungskonzeptes sind eine ausreichend genaue Diagnose des Hauptbeschwerdebildes, die Diagnose von körperlichen und psychischen Begleiterkrankungen, Beachtung von psychosozialen Gesichtspunkten und Lebensumständen, Erarbeitung eines realistischen Therapieziels unter Abwägung aller zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten, ein adäquater Umgang mit der Störung oder Erkrankung usw.
Aus praktischen Gründen wird der Kopfschmerz im nächsten Abschnitt gesondert behandelt.
Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit einer tatsächlichen oder drohenden Gewebsschädigung verknüpft ist, oder mit Begriffen einer solchen beschrieben wird.
Der Schmerz, der hier gemeint ist, wird immer körperlich empfunden. Ein rein seelischer Schmerz (z.B. Traurigkeit, Verzweiflung, Demoralisierung) ist hier nicht gemeint. Die Ursachen können vielfältig sein. Als zwei große grundsätzliche Gruppen unterscheidet man den sogenannten nozizeptiven Schmerz und den neuropathischen Schmerz.
Beim nozizeptiven Schmerz ist Gewebe dort geschädigt, oder gestört, wo der Schmerz wahrgenommen wird. Ein Beispiel ist der Schmerz nach einer direkten Verletzung, oder im Rahmen einer Entzündung (z.B. aktivierte Arthrose).
Beim neuropathischen Schmerz betrifft die Schädigung das reizweiterleitende oder reizverarbeitende System, also das periphere oder zentrale Nervensystem (z.B. Gürtelrose, Polyneuropathien, Karpaltunnelsyndrom, Trigeminusneuralgie usw.)
Obwohl sich dieser Abschnitt mit dem körperlichen Schmerz beschäftigt, hat, vor allem chronischer Schmerz, immer auch eine seelische-, soziale- und Verhaltenskomponente. Im Laufe der Chronifizierung des Schmerzes können diese Faktoren sogar die Bedeutung der Gewebsschädigung übertreffen. Die Angst vor den Folgen der Schmerzkrankheit, Folgen von übermäßigem Schonverhalten, sozialer Rückzug, finanzielle Einbußen, Verlust an Selbstwertgefühl und Veränderung des Selbstbildes, Verlust der Überzeugung der Selbstwirksamkeit sind Beispiele dafür, was hier gemeint ist.
Akute Schmerzen aufgrund stumpfer Verletzungen, Prellungen des Bewegungsapparates gehören natürlich nicht im engeren Sinn zur Neurologie. Auch die Schmerzmedizin beschäftigt sich damit nur am Rande. Dafür hilfreiche „Externa“, also Salben, Gele, äusserlich anzuwendende Tinkturen und Pflaster sind aber praktisch wichtig und spielen gerade in der Allgemeinmedizin eine große Rolle.
Auch sonstige Schmerzen des Bewegungsapparates, z.B. aufgrund von rheumatischen oder arthrotischen Erkrankungen sprechen auf diese Externa an.
Capsaicin hat aber gerade bei der Therapie von neuropathischen Schmerzen einen festen Platz und wird auch als Erstlinientherapie in Leitlinien empfohlen.
Arnica montana/Arnika ist als guter alter „Arnikaschnaps“ in Verwendung. Die Verwendung darf ausschließlich äußerlich erfolgen. Eine innerliche Anwendung kann zu Herzrhythmusstörungen führen.
Von der äußerlichen Anwendung von Arnika montana darf man sich eine antiphlogistische/entzündungshemmende und analgetische/schmerzlindernde Wirkung erhoffen.
Einfacher und den meisten Menschen in der Anwendung angenehmer sind zugelassene bzw. registrierte in der Apotheke erhältliche Präparate (z.B. Artrogel Arnika Gel, doc Arnica Salbe, Gothaplast Rheumamed Wärmepflaster (Kombination von Arnika und Cayennepfefferextrakt))
Symphytum officinale/echterBeinwell hat große traditionelle Bedeutung als Arzneipflanze. Eine Anwendung kommt nur äußerlich in Frage, da die wild gesammelte Pflanze giftige Pyrrolizidinalkaloide enthalten kann. Die in Österreich zugelassenen Fertigpräparate sind aus pyrrolizidinalkaloidfreien Stammpflanzen. Symphytum officinale/echter Beinwell ist antipholgistisch/entzündungshemmend und durchblutungsfördernd. Eine ebenfalls in Anspruch genommene Förderung der Wundheilung/Granulation ist derzeit nicht relevant, da die verfügbaren Fertigpräparate nicht zur Anwendung auf Wunden bestimmt sind.
Es steht ein Präparat mit dem Extrakt aus dem Kraut des Beinwell, das eine Vollzulassung aufweist, zur Verfügung (Traumaplant-Salbe) und eine Salbe mit einerm Extrakt aus der Wurzel (Kytta-Salbe) das eine Zulassung aufgrund langer Anwendung („well established use“) hat.
Aesculus hippocastanum/Rosskastanie wirkt antiexudativ, antiödematös, und venentonisierend. Die Wirkung im Zusammenhang mit stumpfen Traumen ist also vor allem abschwellend.
Ein in dieser Indikation zugelassenes Präparat ist Reparil-Gel. (In Kombination mit Diethylaminsalicylat, wodurch es auch antientzündlich wirkt)
Hypericum perforatum/echtes Johanniskraut wird traditionell als „Rotöl“ ebenfalls bei stumpfen Verletzungen, aber auch bei schlecht heilenden Wunden verwendet. Es steht aber nicht als zugelassenes Fertigarzneimittel zur äußerlichen Anwendung zur Verfügung und hat daher aus praktischen Gründen weniger Bedeutung. Auch der Wirkmechanismus, der für diese Anwendung sprechen würde, ist nicht bekannt. Heutzutage wichtig ist Hypericum perforatum/echtes Johanniskraut allerdings zur Behandlung von leichten bis mittelschweren Depressionen.
Ätherische Öle aus Rosmarinus officinalis/Arzneirosmarin, Cinnamomum camphora/Kampferbaum, Eucalyptus globulus/Eukalyptusbaum, Pinus silvestris/Kiefer, Pinus mugo/Latsche, Pinus pinaster/Strandkiefer, Lavandula angustifolia/Lavendel, Mentha piperiat/Pfefferminzeund anderen Aromatika (=ätherischöl haltige Arzneipflanzen) werden traditionell angewendet.
Dabei sind unspezifische Reize wie lokale Durchblutungsförderung, lokale Erwärmung und dadurch Schmerzlinderung offensichtlich. Man nennt diese Gruppe von Präparaten daher auch „Rubifazienzien“ (bedeutet: „Rotmacher“).
Andere Gruppen von ätherischen Ölen kühlen aber auch. Einzelne Komponenten der ätherischen Öle können in Signalkaskaden im Rahmen des Entzündungsgeschehens eingreifen. Diese spezifischen Wirkungen sind aber bei den angewendeten Präparaten unzureichend erforscht.
Beispiele von in der Apothke erhältlichen Präparaten sind Carl Baders Divinalsalbe, Retterspitz, Rowalind, Rubilind.
Kühlend wirkt z.B. Trauma-Salbe kühlend „Mayerhofer“.
Aus Capsicum annuum/Cayennepfeffer werden die, in der Pflanzenheilkunde verwendeten Capsacinoide gewonnen.
Im europäischen Arzneibuch sind die getrockneten reifen Frücht und das quantifizierte, raffinierte Cayennepfefferölharz mit jeweils einem definiderten Capsacinoidgehalt gelistet.
Capsacinoide wirken lokal durchblutungsfördernd, schmerzlindernd, entzündungs- und juckreizstillend und sind für alle Arten von Schmerzen als Pflaster und Salben gebräuchlich. Beispiele sind: ABC-Pflaster, Trauma-Salbe wärmend „Mayrhofer“, Gothaplast Rheumamed Wärmepflaster (Kombination).
Bei neuropathischen Schmerzen ist die Anwendung von Capsaicin aus der Chilischote seit langem bekannt. Wenn neuropathische Schmerzen einen überschaubaren Bereich der Körperoberfläche betreffen (z.B. Neuralgie nach einer Gürtelrose) ist die Anwendung eines capsaicinhaltigen Pflasters ein sehr wirksamer Standard. Die Anwendung von Capsaicin in Form des industriell hergestellten Pflasters (Qutenza(R)) ist im engeren Sinne nicht Phytotherapie. Das Pflanzliche Capsaicin ist nur Vorbild für den synthetisch hergestellten Wirkstoff. Die Anwendung erfolgt durch ein spezialisiertes Zentrum. Die Selbstanwendung dieses hochwirksamen Arzneimittels ist für den Laien ausgeschlossen.
Flos graminis/ Heublumen weisen ein breites Spektrum von beinhalteten Pflanzen und Wirkstoffen auf. Heublumensäcke als warme Kompressen werden z.B. 2x täglich auf die schmerzenden Stellen aufgelegt. Dass Heublumen nicht als zugelassenes oder registriertes Arzneimittel verfügbar sind und keine standardisierte Anwendungsempfehlung vorliegen, machen die Nutzung praktisch aufwendiger.
Bei der Besprechung von bei Schmerzen wirksamen Pflanzen muss der Weidenrinde ein besonderer Platz eingeräumt werden.
Die Rinde von Salix sp/Weidenarten, z.B. Salix alba/Silberweide, Salix daphnoides/Reifweide, Salix purpurea/Purpurweide, Salix fragilis/Bruchweide usw. wird traditionell als schmerzlinderndes und fiebersenkendes Mittel eingesetzt.
Dabei werden Salicylalkoholderivate (z.B. Salicin) als besonders wirksame Inhaltsstoffe gesehen. Diese werden im Körper zur Salicylsäure verstoffwechselt.
Salicylsäure konnte schon ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts großtechnisch hergestellt werden. Zur besseren Verträglichkeit sollte die Acetylierung (Einfügung einer Essigsäuregruppe) führen. So wurde die Acetylsalicylsäure entwickelt.
Der Handelsname „Aspirin(R)“ leitet sich von einer anderen ebenfalls salicylathaltigen Pflanze, nämlich dem Mädesüß, das damals Spiraea ulmaria hieß ab. Das Salicylat des Mädesüß ist die Spirsäure. Der Handelsname Aspirin ergab sich aus der Essigsäuregruppe „Acetyl-“ und der Spirsäure.
Die manchmal gehörte Behauptung Weiden würden Aspirin als wirksamen Inhaltsstoff enthalten, ist zwar nicht ganz richtig, die Richtung stimmt aber.
Leider steht in Österreich kein Fertigarzneimittel mit Weidenrindenextrakt zur Verfügung. Somit ist die praktische Anwendung auf die Teezubereitung beschränkt, was aber keine große Verbreitung hat.
Popula tremula/Espe oder Zitterpappel gehört botanisch ebenfalls zur Familie der Salicaceae/Weidengewächse, weist ähnliche Inhaltsstoffe auf und wird ähnlich verwendet.
Als Kombinationspräparat, das unter anderem Extrakte der Esche enthält, haben Phytodolor-Rheumatropfen eine Vollzulassung.
Uncaria tomentosa/Katzenkralle ist eine rechtswindende Liane, die eine Länge von 60 Metern und mehr und einen Sproßdurchmesser von über 20 cm erreichen kann. Sie weist an Katzenkrallen erinnernde Dornen auf, die ihr den Namen gegeben haben. Uncaria tomentosa/Katzenkralle kommt im Regenwald unter anderem des Ostabhangs der peruanischen Anden vor.
Dort interessierte sich der österreichische Santitäter (der Tiroler Klaus Keplinger) einer Andenexpedition 1959 für die Heilpflanzen indigener Bewohner, die die Gruppe zufällig kennen gelernt hatte. 1974 konnte ein neuerlicher Kontakt hergestellt und die Pflanze identifiziert werden.
Es erfolgte eine intensive Beforschung und es wurden mehrere Interessante Wirkungen festgestellt.
Bei rheumatoider Arthitis, also Gelenksentzündungen ergaben auch klinisch Studien eine gute Wirksamkeit.
Eine antivirale Wirksamkeit konnte festgestellt werden. Dabei heilten Herpes zoster Erkrankungen schneller ab und es kam schneller zur Schmerzfreiheit, als ohne Therapie.
Weiters wurden Antitumor- und eine Wirksamkteit bei HIV-Infektionen in guten Studien nachgewiesen.
Eine Besonderheit der Planze ist, dass es Chemotypen („Rassen“) gibt, die einen Hauptwirkstoff, nämlich Oxindolalkaloide in „pentacyclischer“, andere in „tetracyclischer“ und andere in einer Mischung aus beiden Formen enthalten. Da die „pentacyclischen Oxindolalkaloide“ die Hauptwirksamkeit entfalten und diese teilweise von den „tetracyclischen Oxindolalkaloiden“ antagonisiert (aufgehoben) wird, ist es wichtig den entsprechenden Chemotyp anzuwenden. Interessanter Weise stellte sich heraus, dass die indigenen Heiler genau den richtigen Chemotyp identifizieren konnten, ohne dass bekannt wäre, nach welchen Merkmalen sie die Unterscheidung trafen.
Für unsere Praxis ist dieser Umstand wichtig, weil er bedingt, dass wir ausschließlich Extrakte, bei denen nur, oder zumindest in einem bekannten Mischungsverhältnis überwiegend, pentacyclische Oxindolalkaloide enthalten sind, benutzen sollen.
Das österreichisches Präparat „Krallendorn(R)“ erfüllt jedenfalls dieses Qualitätsmerkmal.
Harpagophytum procumbens/afrikanische Teufelskralle ist eine weitere
entzündungshemmend wirkende Heilpflanze.
Sie stammt aus den Savannen Namibias, Botswanas, Simbabwes und Südafrikas und ist dort auch traditionell als Heilpflanze bekannt.
Neben der appetitanregenden, den Verdauungstrakt fördernden Wirkung der Bitterstoffe ist die entzündungshemmende und schwach schmerzlindernde Wirkung des Harpagosids interessant.
Beim Namen Teufelskralle gibt es einige Verwechslungsmöglichkeiten. Zunächst einmal ist klar, dass es etwas Anderes ist, als die so ähnlich klingende Pflanze Katzenkralle, die aus einem anderen Kontinent, nämlich Südamerika stammt und oben beschrieben ist. Die afrikanische Teufelskralle ist aber auch ganz anders als die bei uns heimische Pflanze aus der Gattung Phyteuma/Teufelskrallen aus der Familie der Campanulaceae/Glockenblumengewächse. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig in der Phytotherapie die korrekte lateinische Artbezeichnung ist. Katzenkralle, eine Teufelskralle und eine andere Teufelskralle kann man schon einmal miteinander verwechseln. Uncaria tomentosa, Harpagophytum procumbens und Phyteuma orbiculare sind da schon eindeutiger.
In Österreich erhältlich sind Dr. Böhm Teufelskralle 600 mg Filmtabletten, Pascoflex Filmtabletten, Sogoon 480 mg Filmtabletten und Teufelskralle ratiopharm 480 mg Filmtabletten.
Das Harz von Boswellia serrata/Weihrauchbaum wird als Olibanum indicum oder Weihrauch bezeichnet. Neben ätherischen Ölen enthält es vor allem Harzsäuren, wie die Boswelliasäuren.
Es wurden entzündungshemmende, analgetische, immunsuppressive und antimikrobielle Wirkungen nachgewiesen.
Daraus ergibt sich eine Indikation bei entzündlichen Gelenkserkrankungen, aber auch bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen.
Auch die Verminderung des perifokalen Ödems bei Hirntumoren (Gliomen) wurde nachgewiesen.
Dosierungen liegen bei bis zu 3600 mg täglich.
In Österreich ist aber kein Arzneimittel mit Weihrauch zugelassen oder registriert. Man muss daher, wenn man Weihrauch anwenden möchte, auf Nahrungsergänzungsmittel ausweichen. Außerdem enthält Weihrauch auch Estragol. Die Langzeitanwendung von estragolhaltigen Arzneimitteln ist aber aufgrund einer möglichen krebserregenden Wirkung nicht empfohlen.
Urtica dioica/grosse Brennessel und Urtica urens/kleine Brenntessel sind die Stammpflanzen der Drogen (urticae herba oder urticae radix) die als Tee oder Ausgangsstoff von Extrakten und Frischpflanzensäften angewandt werden. In Österreich kommt weiter noch Urtica kioviensis/Röhricht-Brennessel vor, die aber keine Bedeutung als Lieferant der Arzneidroge hat.
Neben einer in diesem Zusammehang weniger bedeutenden diuretischen (=harntreibenden) Wirkung, wirkt die Brennessel vor allem antiphlogistisch (entzündungshemmend) und immunmodulierend. Die Leitsubstanzen sind Caffeoyläpfelsäure und Cholorgensäure.
Eine Anwendung bei Erkrankungen mit entzündlichen Gelenkserkrankungen („rheumatischer Formenkreis“) ist plausibel und nach meiner Erfahrung wirksam.
Derzeit sind keine pflanzlichen Arzneimittel in dieser Indikation in Österreich zugelassen, die Anwendung als Teedroge ist aber einfach und praktikabel.
Wenn wir uns mit pflanzlichen Mitteln zur Schmerzbehandlung beschäftigen, ist natürlich ganz besonders Papaver somniferum/Schlafmohn zu nennen.
Der getrocknete und oxidierte Saft aus den angeritzten unreifen Mohnkapseln ergibt Opium. Zahlreiche Alkaloide des Schlafmohns werden als Opiate bezeichnet. Das bekannteste ist Morphinum (=Morphium), das 1804 vom damaligen Apothekergehilfen und späteren Doctor Friedrich Wilhelm Adam Sertürner in Paderborn erstmals rein dargestellt wurde.
Dieses Morphinum oder Morphium wurde der Ausgangspunkt zahlreicher Entwicklungen und ist immer noch die Referenzsubstanz der Opioide. An ihm müssen sich diese starken Schmerzmittel messen.
Die Phytotherapie beschäftigt sich nicht mit aus Pflanzen gewonnenen Reinsubstanzen und deren Weiterentwicklung, aber wenn man Pflanzen in der Schmerzbehandlung betrachtet, kann man kaum an dieser Pflanze vorbeigehen.
Formal erfüllt immerhin noch die Tincutra opii (Opiumtinktur) die Kriterien eines Phytopharmakons. Sie ist ein auf Morphin, Codein, Papaverin, Thebain, Noscarpin und Narcein standardisierter Extrakt aus Opium und grundsätzlich verschreibungsfähig, wenn auch wenig gebräuchlich.
Außerdem ist in Österreich Tincutra opii als Fertigarzneimittel unter dem Namen Dropizol(R) zugelassen. Die Zulassungsindikation ist: „Schwere Durchfälle, wenn andere Arzneimittel keine ausreichende Besserung bewirken.“
Eine ebenfalls uralte Kulturpflanze ist Cannabis sativa/gewöhnlicher oder echter Hanf.
Von den Cannabinoiden (je nach Quelle bis über 120 verschiedene) sind das psychoaktive Delta-9-Tetrahydrocannabinol und das nicht psychoaktive Cannabidiol die bekanntesten und am besten erforschten. Sie wirken über ein körpereigenes Cannabinoidsystem. In diesem Endocannabinoidsystem wirken auch ohne Zufuhr von außen körpereigene „Endocannabinoide“ ausgleichend. Sie „modulieren“ die Wirkung anderer Neurotransmitter.
Unter anderem entstehen dadurch Schmerzlinderung, auch eine Auslöschung von aversiven Erinnerungen (Stichwort „Schmerzgedächtnis“), Beruhigung, Muskelentspannung, eine antiemetische (Brechreizunterdrückende) Wirkung und Angstlösung.
Die psychotrope Wirkung ist im Rahmen der medizinischen Anwendung unerwünscht und bei geeigneter und langsam einschleichender Dosierung meist unerheblich. Die beruhigende Wirkung kann individuell und dosisabhängig angenehm entspannend, oder unangehenehm als Sedierung, Müdigkeit, oder Beeinträchtigung auftreten.Neben den Cannabinoiden spielen insbesondere ätherische Öle und andere Terpene eine Rolle.
Als eigentliches Phytotherapeutikum ist in Österreich ein auf THC und CBD standardisierter Extrakt zur Anwendung auf der Mundschleimhaut (Sativex(R)) zugelassen. Es muss als Suchtmittel ärztlich verschrieben werden. Die Zulassung von Sativex(R) in Österreich beschränkt sich auf die Spastik bei Multipler Sklerose, wenn durch andere Arzneimittel keine ausreichende Besserung erzielt wurde. Die Anwendung in anderen Indikationen z.B. „Schmerz“ erfolgt als „individueller Heilversuch“, das heißt, er basiert auf anderen Rechtsgrundlagen, als die Anwendung in der Zulassungsindikation.
Außerdem sind THC-freie CBD-reiche Hanfblüten und diverse CBD-Produkte frei erwerbbar. Da diese Produkte als Arzneimittel weder zugelassen noch registriert sind, sind sie ärztlich nicht verschreibbar und die Qualität ist unsicher. Damit will ich nicht sagen, dass die Qualität grundsätzlich schlecht ist, sondern nur, dass sie nicht auf der Rechtsgrundlage eines Arzneimittels geprüft ist, was große Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen Produkten ermöglicht. Außerdem ist oft nicht nachvollziehbar, wieviele mg CBD man genau pro Dosis (z.B. pro Kapsel, oder pro Tropfen, oder pro Blüte) in den Körper aufnimmt.
Letztlich gibt es noch Arzneimittel, die THC als Reinsubstanz enthalten, aber nicht Thema dieses Überblicks über die Phytotherapie in Neurologie, Psychiatrie und Schmerzmedizin sind.
Die Pfefferminze wirkt antimikrobiell, analgetisch, spasmolytisch und kühlend. Wie alle Lamiaceen/Lippenblütler enthält sie unter anderem ätherische Öle
Das ätherische Pfefferminzöl hat oft bei Kopfschmerzen auf die Schläfen aufgetragen eine gute analgetische (=schmerzlindernde) Wirkung.
Der Wirkmechanismus ist nicht sicher bekannt, vermutlich ist die Erregung von Kälterezeptoren für die Schmerzlinderung verantwortlich.
Als Arzneimittel ist das ätherische Pfefferminzöl in Österreich nicht registriert oder zugelassen, aber in Apotheken sind entsprechende Produkte, auch als praktischer Rollon erhältlich.
Zur Migräneprophylaxe ist Tanacetum parthenium/Mutterkraut geeignet.
Bei wiederkehrenden mittelstarken bis starken Kopfschmerzen handelt es sich sehr oft um Migräne. Diese ist eine chronische Erkrankung mit fluktuierendem Verlauf. Das heißt, bei vielen Menschen kommen Phasen mit starken und häufigen Kopfschmerzen und Phasen mit selteneren und schwächeren Kopfschmerzen vor.
Zur Behandlung der akuten Kopfschmerzen stehen neben dem oben erwähnten Pfefferminzöl vor allem gut wirksame synthetische Medikamente zur Verfügung.
Bei häufigen Attacken und deutlicher Beeinträchtigung der Lebensqualität kommen synthetische Prophylaktika in Frage, die man täglich einnehmen muss und die leider auch nur eine Verringerung der Attackenhäufigkeit und der Schwere der Attacken bewirken.
Seit kurzer Zeit sind dafür auch sog. Biologica, Spritzen, die man sich selbst verabreicht, verfügbar.
Ebenfalls zur Vorbeugung ist Tanacetum parthenium/Mutterkraut geeignet. Eine Kapsel zu 100 mg tgl. kann die Häufigkeit und Schwere der Migräneattacken vermindern. Das Ansprechen auf die Therapie ist individuell unterschiedlich
Als Wirkmechanismus werden die Blockade von 5-HT2A und 5-HT2B-Rezeptoren, eine Hemmung der NFkB-Aktivität, eine Hemmung der Thrombozytenaggregation und eine Hemmung der Serotonin-Sekretion aus Thrombozyten angenommen.
In Österreich ist Dr. Böhm Mutterkraut 100 mg Kapseln als traditionell pflanzliches Arzneimittel registriert.
Petadolex(R) ist ein Präparat der Pestwurz und wurde erfolgreich zur Migräneprophylaxe eingesetzt.
Leider ist die Pestwurz eine pyrrolizidinalkaloidhältige Pflanze. Diese Alkaloide sind potenziell leberschädigend und kommen in sehr unterschiedlichen Mengen in vielen Pflanzen vor.
Nachdem es gelungen war, einerseits fast pyrrolizidinfreie Sorten zu züchten und andererseits bei der Extraktion den Pyrrolizidingehalt des Extraktes weiter zu verringern, konnte das Präparat Petadolex(R) erfolgreich gegen Migräne eingesetzt werden.
Derzeit ist es allerdings in Österreich nicht verfügbar. Daher ist der Einsatz von Pestwurz zur Migräneprophylaxe in Österreich nicht möglich. Die Nutzung als Teedroge ist tatsächlich gefährlich, da in diesem Fall der Gehalt an Pyrrolizidinen nicht vorhergesagt werden und durchaus im toxischen Bereich liegen kann.
Der Lavendel ist eine seit langem in unterschiedlicher Anwendungsform bei „Unruhezuständen“ und Einschlafstörungen angewandte Arzneipflanze.
Das ätherische Öl ist in Form von Tee, Duftsäckchen oder in Duftlampen wirksam.
Seit 2009 ist ätherisches Lavendelöl unter dem Namen Lasea(R) in Deutschland als Arzneimittel in der Indikation innere Unruhe, Angstgefühle und daraus resultierenden Schlafstörungen zugelassen und inzwischen auch in Österreich verfügbar.
Eine Kapsel enthält 80 mg durch Wasserdampfdestillation aus den Blüten von Lavandula angustifolia gewonnenes ätherisches Öl.
Als Wirkmechanismen werden eine Hemmung der (erregenden) Glutamatbindung in der Großhirnrinde, eine Wirkung über GABA (Gamma-Amino-Buttersäure) (benzodiazepinartig) und eine Wirkung über eine Reduktion des Calciumeinstroms durch überexprimierte, spannungsabhängige Calciumkanäle (ähnlich Pregabalin) diskutiert.
In zahlreichen Studien unter anderem unter Federführung von emer. o. Univ. Prof. Dr. Dr. hc. mult. Siegfried Kasper konnte die Wirkung konkretisiert und bewiesen und eine Empfehlung zur langfristigen Einnahme bei verschiedenen Angstsyndromen wie subsyndromaler Angststörung oder generalisierter Angststörung abgeben werden.
Die Kernsymptome einer Depression sind gedrückte Stimmung, Interessensverlust, Freudlosigkeit, verminderter Antrieb und erhöhte Ermüdbarkeit. Andere Symptome, die oft bei einer Depression auftreten sind Konzentrationsstörungen, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, pessimistische Zukunftsperspektiven, Schlafstörungen und Veränderungen des Appetits, meist verminderter Appetit.
Bei depressiven Verstimmungen und leichter bis mittelschwerer Depression können pflanzliche Arzneimittel eingesetzt werden. Wissenschaftlich am besten untersucht ist in dieser Indikation das Johanniskraut.
Hypericum perforatum/Johanniskraut wurde bereits in der Antike medizinsch genutzt und von Paracelsus wurde die Anwendung bei psychischen Erkrankungen („gegen die dollmachenden Geister“) beschrieben.
Volksheilkundlich und erfahrungsheilkundlich ist die Anwendung gegen psychovegetative Störungen, depressive Verstimmungszustände, Angstzustände, nervöser Unruhe und dyspeptische Beschwerden bekannt.
Die Anwendung ist ursprünglich vor allem als Teedroge geläufig.
Erst ab den 1980er Jahren wurden erste klinische Studien dazu durchgeführt.
Im Rahmen der wissenschaftlichen Erforschung kristallisierten sich Hypericin und Hyperforin als Inhaltsstoffe heraus, denen vor allem die antidepressive Wirkung zugeschrieben wird. Allerdings ist es schon das Zusammenwirken vieler Inhaltsstoffe, das letztendlich die Wirkung ausmacht.
Insgesamt wurde wissenschaftlich eine Wirkung bei leichter bis mittelschwerer Depression und in der Rückfallprophylaxe bei Patienten, die sich nach einer akuten depressiven Episode in Remission (mehr oder minder Symptomlosigkeit) befanden, nachgewiesen.
Den wissenschaftlichen Beweis dürfen dabei nur die in den Studien getetsten standardisierte Extrakte für sich in Anspruch nehmen.
Auf eine ausreichend hohe Dosierung ist dabei zu achten.
Als Nebenwirkungen können „Photosensibilisierung“ und „Enzyminduktion“ vorkommen.
Unter „Photosensibilisierung“ ist eine erhöhte Empfindlichkeit gegen Sonnenlich gemeint. Die „Enzyminduktion“ kann zur Folge haben, dass der Abbau von Medikamenten im Körper beschleunigt ist. Bei gleichzeitiger Verwendung mit manchen Medikamenten mit geringer therapeutischer Breite ist daher Vorsicht geboten. Das sind vor allem Medikamente, die zur Immunspression nach Organtransplantationen verwendet werden, aber auch z.B. die östrogenbasierte „Minipille“.
In Österreich als Arzneimittel zugelassen sind z.B. Jarsin(R) und Dr. Böhm(R) Johanniskraut Kapseln, Laif(R) Produkte.
Vielfältige Überbelastungen können zunächst kurzfristige unangenehme psychische und körperliche Symptome erzeugen, aber auch mittel- und langfristig zum Entstehen einer oft als aussichtslos empfundenen unangenehmen Gesamtsituation führen. Dabei können unter anderem psychische Symptome (z.B. Depression, Angst, Schlafstörung) und Verhaltensfaktoren (z.B. Sucht, aggressives Verhalten) Krankheitswert annehmen.
Das Wesentliche in der Behandlung von Stress und psychischen Störungen im Rahmen eines Burnoutsyndroms ist sicherlich eine Veränderung der Gesamtsituation, die durch eigene Reflexion, Heranziehen von geeigneter Literatur, Seminaren, Coaching, Psychotherapie (Verhaltenstherapie), REHAB-Maßnahmen usw. erreicht werden kann.
Als pflanzliche Mittel, die die Belastbarkeit gegen Stress verbessern, stehen sogenannte Adaptogene zur Verfügung. Adaptogene sind Stoffe, welche die Anpassungsfähigkeit des Organismus bei außergewöhnlichen Belastungen verbessern, die Widerstandsfähigkeit gegen neuerliche Belastungen erhöhen und insbesondere der Stressreaktion entgegenwirken.
Der Name von Rhodiola rosea/Rosenwurz deutet auf den ausgeprägten Duft der frischen Wurzel nach Rosen hin. Es handelt sich um eine seit der Antike (Dioskurides) eingesetzte heimische Heilpflanze, die im Hochgebirge und in arktischen Gebieten vorkommt.
Entsprechend dem natürlichen Verbreitungsgebiet könnte man im Gedanken an die „Signaturenlehre“ annehmen, dass eine Pflanze, die soviel aushalten muss, bei Verwendung als Heilpflanze die Widerstandskraft gegen Belastungen erhöhen würde. Es wurden ihr von jeher stärkende und beruhigende Eigenschaften zugeschrieben.
Von den über 140 im Wurzelstock identifizierten Wirkstoffen kristalliseirten sich Salirosid und Rosavine als besonders bedeutsam heraus. Das typische Verhältnis zwischen Salirosid und Rosavinen unterscheidet den Extrakt aus Rhodiola rosea/Rosenwurz von dem aus anderen Vertretern dieser Pflanzenfamilie (Crassulaceae/Dickblattgewächse).
Die Wirksamkeit von Rhodiola rosea/Rosenwurz wurde mit einer regulierenden Wirkung auf die „Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse“ (engl.: „HPA-Axis“), sowie mit direkter Stimulation von Rezeptoren verschiedener Neurotransmitter (Noradrenalin, Dopamin, Acetylcholin, Serotonin) in Zusammenhang gebracht.
Zahlreiche Studien zur Wirksamkeit bei Fatigue, Depression und Stress-induzierten Erschöpfungssyndromen wurden durchgeführt und konnten die positive Wirksamkeit auf die körperliche und mentale Leistung von Rhodiola rosea/Rosenwurz bestätigen. Zu einer positiven Wirkung kam es wesentlich früher, als es z.B. aus der Anwendung von Antidepressiva bekannt ist.
Die Verträglichkeit ist exzellent. Insbesondere kommt es zu keiner Tagesmüdigkeit, zu keiner kognitiven Beeinträchtigung und zu keiner Abhängigkeit.
In Österreich ist das Präparat Vitango(R) als traditionelles pflanzliches Arzneimittel registriert. Die Dosierungsempfehlung lautet: 2x täglich eine Kapsel zu 200 mg.
Als Demenz bezeichnet man eine Verminderung früher vorhandender geistiger Fähigkeiten, die schwer genug ist, um das Leben zu beeinträchtigen.
Ein häufiges Symptom und das Leitsymptom bei der Demenz vom Alzheimertyp ist die herabgesetzte Gedächtnisleistung.
Obwohl die Demenz eine relativ häufige Erkrankung insbesondere des höheren Lebensalters ist, muss eine leichte Merkschwäche nicht unbedingt den Beginn eines schweren Leidensweges bedeuten. Oft lässt sich die subjektiv wahrgenommene Merkfähigkeitsstörung nicht objektivieren, oder ist Begleitsymptom einer anderen Störung, z.B. einer Depression.
Selten können auch behebbare körperliche Störungen Ursache einer Abnahme der Gedächtnisleistung sein.
Jedenfalls sollte der Verdacht auf eine Demenz immer Anlass für eine medizinische Abklärung sein.
Es stehen mehrere pflanzliche und synthetische Medikamente zur Behandlung der Demenz zur Verfügung.
Die in dieser Indikation am besten untersuchte Heilpflanze ist Gingko biloba/Gingko.
Der Gingkobaum ist schon botanisch eine Besonderheit. Er sieht auf den ersten Blick wie ein Laubbaum aus, obwohl die Blätter schon sehr eigen sind. Die Samen des Gingkobaumes sind aber nicht wie die, aller anderen bekannten Laubbäume bedeckt, sondern wie die der Nadelbäume nakt. Damit ist Gingko biloba/Gingko also weder mit den Nadelbäumen, noch mit den Laubbäumen näher verwandt. Er gehört zu den Samenpflanzen, wie die Laubbäume (Bedecktsamer) und die Nadelbäume (Naktsamer) auch. Da ihre Samen nakt sind, gehören sie zu den Naktsamern (wie die Nadelbäume), dann hört sich aber die Gemeinsamkeit auf. Gingko biloba/Gingko gehört nämlich zur eigenen Klasse der Gingkoopsida, deren einziger Vertreter er ist.
Sein Ursprung liegt in China. Die ersten Gingkobäume dürften um 1730 von holländischen Seefahrern aus Japan nach Europa gekommen sein.
In seiner Heimat wurde Gingko, nämlich sowohl Blätter, als auch Wurzeln und Samen seit langem traditionell in der Medizin angewandt.
In der westlichen Medizin werden ausschließlich Extrakte aus Gingkoblättern verwendet.
Am besten dokumentiert ist die Anwendung des Spezialextraktes EGb 761 für die Behandlung von „hirnorganisch bedingten geistigen Leistungseinbußen bei demenziellem Syndrom“.
Die wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe sind Flavonoide und Terpenlactone.
Mit den sogenannten Acetylcholinesterasehemmern (Standardmedikamente für leichte bis mittelschwere Demenz) und Memantine (Standardmedimament für schwere Demenz) haben Präparate aus Gingkoblättern gemeinsam, dass die Wirksamkeit begrenzt ist und das Fortschreiten der Erkrankung lediglich verlangsamt wird. Die Verträglichkeit ist allerdings ausgezeichnet.
Insgesamt überwiegen die positiven Studien aber bei Weitem, so dass auch relevante Leitlinien die Anwendung von Gigko biloba/Gingko bei milder kognitiver Einschränkug, aber auch bei leichter bis mittelschwerer Demenz empfehlen.
Wichtig ist die Anwendung in ausreichend hoher Dosierung, nämlich 240 mg täglich.
In Österreich erhältlich sind unter anderem: Cerebokan(R), Tebonin(R), Tebofortan(R).
Allen ab hier genannten Pflanzen ist gemeinsam, dass ich dringend von der Anwendung abrate. Ich beschreibe sie nur, weil es sich um interessante Pflanzen handelt, oder weil ich durch Berichte von Patienten auf sie gestoßen bin. Sie mögen in bestimmtem kulturellen Kontext und mit viel Erfahrung angewandt durchaus einen Stellenwert als „Heilpflanzen“ besitzen. Einige Internetrecherchen ersetzen dieses Wissen aber nicht. Sie sind vielleicht für die Wissenschaft interessant und können nach langen Forschungen einen Platz in der Medizin bekommen. Derzeit sind sie aber möglicherweise sehr gefährlich. Ich habe Menschen kennengelernt, deren Leben für einen langen Zeitraum, oder dauerhaft schwer beschädigt war, nach Einnahme von solchen Pflanzen. Also bitte nicht anwenden. Wenn ich annehmen würde, dass mein Beitrag jemanden dazu ermuntern würde, die folgenden Pflanzen anzuwenden, würde ich darauf verzichten, ihn zu veröffentlichen. Ich gehe aber davon aus, dass diese Gefahr nicht besteht, so dass ich meine Beschäftigung damit zugänglich mache. Auch giftige Pflanzen sind ja unsere Mitbewohner auf diesem Planeten und ihre Macht ist faszinierend.
Mitragyna speciosa/Kratom ist ein aus Südostasien stammender Baum aus der Familie der Rubiaceae/Rötegewächse. (Zu dieser Familie gehören übrigens auch unsere Laabkräuter oder der Kaffeestrauch.)
Ich wurde auf die Pflanze durch die Berichte von bisher drei Patienten aufmerksam. Zwei davon hatten Kratom als vermeintliches Mittel gegen ihre mehr oder weniger stark ausgeprägte Opiatabhängigkeit verwendet. Der dritte Patient hatte Kratom aus allgemeinem Interesse und zum Zweck der Leistungssteigerung, der Beruhigung und zur allgemeinen Steigerung des Wohlbefindens versucht. Auch beim dritten Patienten bestand eine Abhängigkeitsanamnese, allerdings von Alkohol. Zum Zeitpunkt des Beginns des Konsums von Kratom war er allerdings bezüglich Alkohol abstinent. Er wollte auch eine gewisse Neigung zu Angst und Panikattacken bekämpfen und den Bedarf an einem synthetschen Beruhigungsmittel reduzieren. Besonders erstaunlich ist, dass dieser Patient früher auch eine Psychose ausgelöst durch Cannabiskonsum erleben musste und somit am eigenen Leib die Problematik des Konsums psychotroper Pflanzen erfahren hatte.
Ich bin immer wieder erstaunt darüber, mit welcher Naivität manche Menschen solche extrem gefährlichen Selbstversuche wagen. Oft sind es Menschen, die synthetischen Medikamenten, die ausgezeichnet untersucht und sicher sind, oder deren Risikopotenzial sehr genau bekannt ist, sehr kritisch bis ablehnend gegenüberstehen, aber unkritisch pflanzliche Produkte zu sich nehmen. Auch in diesen drei Fällen war das der Fall.
Alle drei Patienten suchten mich erst auf, als sie selbst mit den Problemen des Entzuges von Kratom nicht mehr zurecht kamen.
Einer der drei Patienten ist inzwischen in oraler Opiatsubstitutionstherapie. Der Zweite war einige Zeit in oraler Opiatsubstitutionstherapie, ist aber inzwischen bezüglich der Opiate abstinent, benötigt aber andere Medikamente. Der dritte Kratomkonsument konnte inzwischen die Dosis von Kratom reduzieren, es geht ihm aber durchaus nicht gut und er benötigt die Unterstützung durch Pschopharmaka.
Alle drei Patienten berichteten davon, dass Kratom anfangs durchaus angenehm entspannend wirkte. Alle drei bemerkten aber recht rasch eine Abhängigkeit, hatten eine erhebliche Entzugssymptomatik beim Versuch der Abstinenz entwickelt und bereuten es aus heutiger Sicht, mit dem Konsum der Pflanze begonnen zu haben.
Anamese 38 jähriger Mann, moderat übergewichtig, Zustand nach bariatrischer Operation (Magenoperation zum Zweck der Gewichstabnahme), psychotische Episode nach Cannabiskonsum, Zustand nach Alkholabhängigkeitssyndrom, ggw. abstinent. Einnahme von Praxiten (R) (Beruhigungsmittel) in stabiler niedriger Dosierung.
Die Motivation Mitrogyna speciosa/Kratom einzunehmen war die Hoffnung Praxiten(R) absetzten zu können, da Kratom beruhigend wirken sollte, erhöhtes Wohlbefinden, allgemeine Leistungssteigerung und Gewicht abzunehmen.
Kratom kauft er legal in einem Shop in Wien als Blattpulver. Er nimmt es löffelweise ein und spült mit Wasser nach. Der Geschmack ist bitter und grauslich. Die maximale Doierung habe 15 Löffel/Tag, was ungefähr 50 g entspreche betragen, derzeit nehme er fünfeinhalb Löffel/Tag, was ungefähr 20 g entspreche.
Die Wirkung wird als beruhigend und leicht stimmungsverbessernd beschrieben, außerdem tritt Appetitlosigkeit ein. In den 3 Monaten seit der Einnahme habe er 10 bis 12 kg abgenommen.
Es seien keine Halluzinationen (Sinnestäuschungen) aufgetreten, allerdings illusionäre Verkennungen, Anmutungserlebnisse.
Beim Versuch des Absetzens von Kratom sei eine starke depressive Verstimmung, starke Ängste und Zittern aufgetreten.
Er nimmt derzeit, wie oben schon erwähnt etwa 20 g täglich. Die Dosisreduktion hat zur Notwendigkeit zur Unterstützung mittels Psychopharmaka geführt. Mangels etablierter Therapiemethoden wird symptomatisch behandelt. Unter der Therapie ist der Patient soweit stabil, dass er seine Ausbildung im sozialen Bereich absolvieren kann.
Rückblickend beurteilt er die Einnahme von Mitragyna speciosa/Kratom eindeutig als Fehler.
Anamnese 42 jähriger Mann, groß sehr schlank, starkt tätowiert, von Beruf Tätowierer. Vorerkrankung ADHS, diverse Drogenerfahrungen, zeitweise Übergebrauch von Alkohol. Drogen wurden vor allem auch dazu verwendet, um mit seinen durch das ADHS verursachten Defizite besser umgehen zu können und arbeitsfähig zu sein.
Die Motivation Mitragyna speciosa/Kratom zu benutzen war, eine Abhängigkeit von Opiaten zu bekämpfen, bzw. ohne Opiate auskommen zu können.
Er bezog Mitragyna speciosa/Kratom von dem gleichen Shop in Wien, wie der andere Patient.
Die Wirkung wird so beschrieben, dass er sich allgmein wohler gefühlt hätte, gestärkt und gefestigt. Die Wirkung sei schmerzlindernd, angstlösend, motivierend (positiv antriebssteigernd). Die antriebssteigernde Wirkung wäre bei den Blättern mit hellen Blattnerven mehr gegeben.
Wenn bei Cannabiskonsum Angst entstünde, würde Kratomkonsum dieser Angst entgegenwirken.
Änhlich wie der Konsum von Opiaten würde eine entspannende Wirkung eintreten. Allerdings mache der Konsum von Kratom „mehr Spaß als Opiate..“ damit meint er, dass er Opiate als sedierend, dämpfend empfand, was bei Kratom nicht der Fall war. Jedenfalls sei Kratom nicht halluzinogen.
Das Absetzen von Kratom habe den Wunsch nach Opiaten wieder massiv gesteigert. Obwohl die Wirkungen von Kratom angenehm empfunden wurde, war die Gesamtbeurteilung negativ. Also der Konsum von Kratom hatte insgesamt keine Vorteile gebracht.
Mich suchte der Patient erstmals bei dem Wunsch Kratom abzusetzen wegen Suchtdruck (Craving) in Bezug auf Opiatkonsum auf. Er war darauf hin kurzfristig in einer oralean Opiatsubstitution mit Buprenorphin, konnte aber diesbezüglich rasch Abstinenz erreichen. Weiterhin werden in eher geringem Ausmaß verschiedene psychotrope Substanzen konsumiert und eine stabile Therapie mit Psychopharmaka ist nötig.
Von diesem Patienten erfuhr ich auch, dass angeblich der Kauf von Kratom in dem genannten Shop sehr gut floriere und insbesondere auch sehr junge Konsumenten dabei wären.
Anamnese: 26 jähriger Patient, Posttraumatische Belastungsstörung.
Auch dieser Patient versuchte Mitragyna speciosa/Kratom als Opiatersatz. Er hatte immer wieder verschiedene psychotrope Substanzen versucht, um seine psychiatrische Störung positiv zu beeinflussen. Er stand bereits früher in oraler Opioidersatztherapie, war aber diesbezüglich abstinent. In Belastungssituationen griff er aber zu Opiaten und auch zu Kratom, um nicht Opiate zu verwenden. Inzwischen steht er wieder in oraler Opioidersatztherapie. Ich habe ihn derzeit aus den Augen verloren, da er mangels Versicherungsschuzt nicht bei mir, sondern von der Suchthilfe Wien behandelt wird.
Auch bei ihm war der Wunsch auf Opiate zu verzichten aber eine ähnliche Wirkung mit einem legalen Mittel zu erzielen, ausschlaggebend. Auch bei ihm war die Strategie nicht erfolgreich.
Zusammenfassung und Beurteilung:
Natürlich ist die Anamnese von nur drei Patienten nur bedingt aussagekräftig. Aber die Übereinstimmungen sind schon bemerkenswert.
Ich schließe aus den Berichten dieser drei Patienten, dass Mitragyna speciosa/Kratom eine wirksame Substanz ist. Das Wirkungsspektrum dürfte Schmerzlinderung, Angstlösung, leichte Stimmungsaufhellung umfassen und während des Konsums zu gesteigertem Wohlbefinden, allgemeiner „Stärkung“ und „Festigung“ führen. Allerdings dürfte ein erhebliches Suchtpotenzial bestehen und es kommt zu Entzugssymptomen. Deshalb ist die Anwendung in dem von mir beobachteten Kontext eindeutig negativ zu bewerten. Von Probierkonsum, oder Versuchen einer Selbstheilung von psychischen Störungen mit Mitragyna speciosa/Kratom ist aufgrund der mir vorliegenden Berichte abzuraten.