„Schon immer“ war ich intuitiv von der Möglichkeit Pflanzen für Heilzwecke zu nutzen angezogen. Eine moderne naturwissenschaftlich medizinische Ausbildung und Berufstätigkeit ließen anfangs wenig Platz, mich ernsthaft mit der Pflanzenheilkunde zu beschäftigen.
Im Jahr 2005 nahm ich dann erstmals an einer pharmakobotanischen Exkursion der Österreichischen Gesellschaft für Phytotherapie unter Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Kubelka und Prof. Dr. Johannes Saukel teil. Ich erhielt erste Einblicke in die naturwissenschaftlich fundierte Phytotherapie und Botanik. Weitere Exkursionen und eine Diplomausbildung in Phytotherapie folgten.
Mein Interesse galt immer in erster Linie der einfachen Anwendung von Heilpflanzen. Damit meine ich die Verwendung von Pflanzen als Tees, Tinkturen und Salben, wie sie ja Jahrhunderte hauptsächlich üblich war und theoretisch in jeder Küche möglich ist. Weniger interessiert war ich anfangs an hochgradig industriell verarbeiteten Produkten wie Spezialextrakten und Trockenextrakten und deren Darreichung in Kapseln, Tabletten usw.
Die moderne naturwissenschaftliche Forschung versucht die Wirkmechanismen der Heilpflanzen mit biochemischen Methoden und die Wirksamkeit mit den Methoden der klinischen Forschung nachzuweisen. Für mich blieb immer eine Diskrepanz zwischen den bescheidenen Erfolgen dieses Weges und dem Jahrtausende alten praktischen Einsatz von Heilpflanzen.
Zum Teil beruht dies darauf, dass manche besonders stark wirksame Heilpflanzen heute nicht mehr als solche angewandt werden, sondern Inhaltsstoffe als Reinsubstanzen Verwendung finden (z.B. Morphin, Digitalisglycoside), oder nur als Modell für chemisch synthetisierte Stoffe dienen (z.B. Acetylsalicylsäure). Oder es werden Inhaltsstoffe chemisch verändert. Beispiele sind Morphinderivate, oder die Anwendung von Butylscopalamin, wo früher Zubereitungen z.B. aus Bilsenkraut angewandt wurden. Im Sinne der Anwendungssicherheit ist diese Entwicklung natürlich sinnvoll. Die moderne Phytotherapie nimmt diese Anwendungen aber aus ihrem Fachgebiet aus.
Weiters wurden gerade stark wirksame Pflanzenzubereitungen aufgrund geringer therapeutischer Breite, oder aber auch aufgrund von Moden, die auch in der naturwissenschaftlich orientierten Medizin bestehen, von synthetisierten Substanzen abgelöst. Beispielsweise wird heute der synthetisierte Wirkstoff Loperamid gegen Durchfallerkrankungen eingesetzt, wo früher mit dem gleichen Wirkprinzip (Agonismus an Opioid-Rezeptoren) Tinctura opii Verwendung fand. Heute ist die Vewendung von Tinctura opii Ausnahmefällen als „individueller Heilversuch vorbehalten. Dadurch ist auch die Erfahrung mit der sehr selten verwendeten Heilpflanzenzubereitung Tinctura opii sehr begrenzt.
Die moderne naturwissenschaftliche Phytotherapie beschäftigt sich also vor allem mit weniger stark wirksamen und sehr nebenwirkungsarmen Heilpflanzen.
Mit dieser, aus wissenschaftlichen und praktischen Erwägungen, wie oben dargestellt, verständlichen Einschränkung, fallen aus dem Gebiet der Phytotherapie viele interessante Heilpflanzen und Heilpflanzenanwendungen heraus. Diese haben aber zum Teil enorme historische Bedeutung.
Neben der Beschäftigung mit der wissenschaftlichen Phytotherapie bin ich persönlich an einer sehr breit verstandenen „Pflanzenheilkunde“ interessiert.
Gegenstand meines Interesses, ist eine systematische aber weiter gefasste Beschäftigung mit der Pflanzenheilkunde.
Da mich Pflanzen mit starken Wirkungen im Allgemeinen interessieren und bekanntlich die Dosis das Gift macht, beschäftige ich mich gerade auch mit Giftpflanzen. Hatten doch viele dieser stark wirksamen Pflanzen früher auch ihre Nische in der Pflanzenheilkunde.
Eine Eingrenzung des Arbeitsgebietes muss aber getroffen werden.
Ich gehe dazu von den mir zur Verfügung stehenden Mitteln aus.
Für meine Herangehensweise besonders wichtig ist das unmittelbare Erleben, das Erfahren der Heilpflanzen mit meinen Sinnen.
Im Wandern durch unsere schöne Natur, beim Besuch botanischer Gärten und bei der Arbeit im eigenen Garten bietet sich mir die erste und hervorragende Möglichkeit Heilpflanzen kennen zu lernen.
Die Inhaltsstoffe der Heilpflanzen erfasse ich in erster Linie mit meinen Sinnen. Seien es der Geruch ätherischer Öle, der Geschmack von Bitterstoffen, die Veränderung im Mund, die beim Zerkauen von gerbstoffhaltigen Pflanzen oder Scharfstoffen spürbar werden, oder die schleimigen Mucilaginosa. Sei es die Farbe von Flavonoiden und Cyaniden, oder der beständige Schaum von Saponinen.
Andere Wirkprinzipien kann man direkt an der Reaktion nach Verabreichung erkennen, wie z.B. die starke Wirkung von Alkaloiden, oder von Anthranoiddrogen.
Ein zweiter Zugang ist die Quellensuche in den medizinischen Traditionen Europas.
Einerseits ist es die Humoralmedizin, die auf das antike Griechenland und die Lehre von den vier Elementen zurückgeht und vor allem im Mittelalter und in der Renaissance einen großen Teil der Schulmedizin darstellte, aber noch lange weiter wirkte.
Die Signaturenlehre hat vor allem in Paracelsus im Zeitalter der Renaissance einen herausragenden Vertreter.
Im ausgehenden Mittelalter und der Renaissance erlebte die Astrologie eine Blüte, so dass auch astrologische Medizin betrieben wurde. Gerade Paracelsus erwähnte immer wieder den Wert der Astrologie für die Pflanzenheilkunde. Aber auch andere Ärzte und Botaniker waren mehr oder weniger Astrologen. Ein Beispiel ist der „englische Paracelsus“ Nicholas Culpeper.
Neben den drei alten Strömungen der Elementelehre, der Signaturenlehre und der Astrologie gab es immer auch die praktische Heilpflanzenanwendung, die ohne einen ausgefeilten theoretischen Hintergrund auskam. Diese Traditionen wurden sicher sowohl im einfachen Volk, als auch in den Klöstern tradiert.
Schließlich stehen als Quelle für meine Betrachtungen auch die Pharmacopoeen (Arzneibücher) zur Verfügung. Die erste Pharmacopoea Austriaca stammt aus dem Jahre 1812. Zur damaligen Zeit war bereits ein naturwissenschaftlicher Zugang allgemein üblich. Trotzdem darf davon ausgegangen werden, dass viele der darin aufgelisteten Arzneimittel noch auf vornaturwissenschaftliche Traditionen zurückgehen. Der erste Reinstoff (Morphinum 1804) war bereits dargestellt. Der erste synthetische Arzneistoff (Acetylsalicylsäure) war noch nicht hergestellt worden. Seit jener Zeit, bis heute lässt sich zumindest nachvollziehen, welche Drogen offiziell als Arzneimittel zugelassen waren.
Alle Betrachtungen über die Anwendung der Arzneipflanzen wären nutzlos, ohne ihre eindeutige Identifikation. Aus diesem Grund ist die binäre Nomenklatur, die seit Carl von Linné verbreitet ist, wesentlich um Pflanzen als Art ansprechen zu können. Ich habe mich also auch mit Grundlagen der Botanik zu beschäftigen.
Letztlich fragt man sich, ob das Aufsuchen der Pflanzen in der Natur an sich schon als Heilmittel wirkt und wird tatsächlich auch in der modernen naturwissenschaftlichen Forschung z.B. unter Stichworten wie „Waldtherapie“ fündig.
Mein persönliches Projekt besteht also darin, mich mit der Pflanzenheilkunde in einem sehr weiten Sinn zu beschäftigen.
Gleichzeitig biete ich in meiner Praxis eine Pflanzenheilkunde an, die sich an den Ansprüchen moderner, sogenannter „evidenzbasierter“ Medizin orientiert und damit die Beschränkungen der modernen Phytotherapie, wie ich sie oben skizzierte, akzeptieren muss.
Es ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, wenn Konsumenten z.B. bei banalen, selbstlimitierenden Erkrankungen (z.B. akuter Husten) zunächst eine einfache pflanzliche Anwendung (z.B. einen Hustentee) benutzen.
An mich als ausgebildeten Arzt und Phytotherapeuten darf der Anspruch meiner Patienten durchaus höher sein. Ich verschaffe mir zunächst mit einer völlig schulmedizinischen Herangehensweise einen Überblick über die individuell vorliegende Erkrankung (z.B. ist die Ursache des Hustens: banale Erkältungskrankheit, Bronchitis, Influenza, Keuchhusten, Lungenentzündung, exazerbierte COPD, usw.), danach überprüfe ich, was die aktuellen Leitlinien dazu sagen und erst wenn, wieder völlig schulmedizinisch, der Einsatz pflanzlicher Arzneimittel angezeigt ist, verordne, oder empfehle ich diese.
Die moderne Phytotherapie ist, wie oben dargestellt eine naturwissenschaftlich begründete Methode, also in diesem Sinne „Schulmedizin“. Dass ich mich persönlich auch für andere Aspekte der Heilpflanzen interessiere, ändert an diesem wissenschaftlichen Ansatz in meiner praktischen Herangehensweise nichts.
Die Zulassung von pflanzlichen Arzneimitteln ist regulatorisch auf europäischer und nationaler Ebene genau geregelt. Auch die einzelnen Arzneipflanzen, die z.B. in Teemischungen verschrieben werden können sind nicht beliebig, oder vom Hörensagen bekannt, sondern werden auf nationaler und zunehmend auf europäischer Ebene in Monographien beschrieben und für bestimmte Indikationen empfohlen.